Erfahrungsberichte
Aufmerksam auf das Heidelberger Elterntraining sind wir durch den Verein Wir sind 22Q geworden. Da ich mich schon früh um die Sprachentwicklung unseres Sohnes sorgte, informierte ich mich online auf der Website des Vereins. Auch die Anmeldung erfolgte unproblematisch über Wir sind 22Q.
Da ich das Training noch zu Corona Zeiten absolvierte, fand es online über „Zoom“ statt. Das lief sogar besser als ich es mir vorgestellt hatte.
Da ich zu dem Zeitpunkt noch mit meiner kleinen Tochter in Elternzeit war, waren die online Termine am Vormittag für mich ideal.
Wir hatten mehrere Sitzungen von jeweils etwa 2 Stunden. Es gab immer eine Zusammenfassung per Mail. Außerdem habe ich mir oft Notizen gemacht.
Hauptsächlich ging es darum, wie man das Kind beim Sprechen lernen bzw. beim sich ausdrücken, motivieren und unterstützen kann. Und wie man sich selbst verhalten muss, damit das Kind Lust zum Sprechen hat. So haben wir zum Beispiel gelernt wie man am besten ein Buch mit dem Kind gemeinsam ansieht. Dabei soll das Kind so animiert werden selbst zu erklären, was es sieht. Auch einige anatomische Grundlagen und Besonderheiten bei Kindern mit 22q11 Deletionssyndrom wurden erklärt.
Am meisten hat uns der Tipp, die Kommunikation mittels Gebärdensprache zu unterstützten, geholfen. Unser Sohn Emil, der vom Syndrom betroffen ist, hat die Gebärden super angenommen und sehr viel benutzt. Obwohl ich vorher sehr skeptisch war, was Gebärden anging, haben wir es probiert.
Emil war glücklich, dass wir ihm eine Möglichkeit gegeben haben sich auszudrücken und wir waren froh, dass wir so endlich ein paar mehr Dinge, die er äußern wollte, verstehen konnten.
Immer mehr Gebärden kamen hinzu, nach und nach sprach er die Wörter und ließ die Gebärden einfach weg. Noch heute nutzt er eine Gebärde, wenn er ein Wort spricht, welches ich nicht sofort verstehe.
Als wir das Training machten war Emil 2 1/2 Jahre alt. Mittlerweile kurz nach seinem 3. Geburtstag macht er deutliche sprachliche Fortschritte.
Auch einige andere Verhaltensregeln setzen wir nach Möglichkeit in unserem Alltag um. Unsere jüngere Tochter ist nebenbei ebenfalls mit den Gebärden groß geworden. Sie ist nicht vom Gendefekt betroffen und spricht schon viel mehr als Emil in diesem Alter, allerdings nutzt auch sie für manche Sachen eine Gebärde.
Insgesamt hat uns das Heidelberger Elterntraining gut gefallen, es hat Emil und auch uns als Eltern weitergeholfen.
Wir hatten endlich das Gefühl ihm aktiv beim Sprechen lernen helfen zu können.
Viele Grüße aus Nordhausen,
Daria Lutze
Hallo,
mein Name ist Mirjam und ich bin Mutter von Drei Kindern.
Mein jüngster Sohn (13 Jahre) alt, hat in seinem 10 Lebensjahr die Diagnose 22q Di-George Syndrom diagnostiziert bekommen.
Es war eine Zufallsdiagnose von einer HNO Ärztin, die mich bat meinen Sohn Humangenetisch untersuchen zu lassen.
Die Kindheit war sehr auffällig. Angefangen hat es mit der Geburt in der 35 SSW. Nico zeigte direkt untypische Verhaltensweisen. Das Stillen klappte kaum bis gar nicht, er trank sehr wenig, zeigte kein Hungergefühl und schlief sehr schlecht und wurde mit einer Ohrmuscheldysplasie geboren.
Im Laufe der Entwicklung zeigten sich Fein,-sowie Grobmotorikstörungen, verzögerte Sprachentwicklung, ständige Infekte, weiterhin schwere Schlafstörungen, Nagelpilz, Herpes usw..
Anbindung an das sozialpädiatrische Zentrum (SPZ) mit Ergo-Logo und Motopädie.
In der Regelschule verweigerte er dann den Unterricht, lief aus der Klasse, versteckte sich bis hin zur Selbstgefährdung wegen den für uns banalsten Dingen.
Er kam mit 9 Jahren auf Rat der Ärzte in die Tagesklinik der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP). Dort wurde ADHS, Störungen der Emotionen und des Sozialverhalten, sowie eine erhebliche Lernbehinderung disgnostiziert. Auslöser hierfür sei meine Krebserkrankung und die Scheidung von meinem Mann.
Nachdem Nico in der Tagesklinik kaum führbar war, wurde er stationär aufgenommen und Medikamentös eingestellt.
Durch eine anschließende Routineuntersuchung bei unserer HNO Ärztin, machte sie mich auf Humangenetische Untersuchungen aufmerksam, unter anderem auch auf das Di-George Syndrom.
Ich las im Internet nach, Informierte mich durch zahlreiche Kliniken und Prospekte und fand meinen Sohn in dem gelesenen bzw beschriebenem wieder. Ich lies ihn untersuchen. Dies ging auf Grund unserer Vorgeschichte und den bisher gescheiterten Therapien sehr schnell.
Seit der Gewissheit, dass mein Sohn unter dem genannten Syndrom leidet, ist der gesamte Umgang deutlich einfacher und friedlicher. Man sieht das Verhalten mit ganz anderen Augen.
Jetzt hat mein Sohn eine Integrationskraft, geht auf eine Förderschule, macht gerne Sport und ist auf Grund seiner Psyche und des ADHS medikamentös eingestellt. Er ist ein sehr liebevoller und toller Junge mit anderen Schwerpunkten.
Wir haben im Alter von 2 Jahren mit dem Sprachtraining des HET begonnen und können nur positive Erfahrungen diesbezüglich weitergeben. Auf der Homepage unseres Vereins sind wir seinerzeit auf den Kurs aufmerksam geworden. Da ich mich nach Bestätigung des Syndroms eingelesen hatte, fand ich die Möglichkeit eines Sprachtrainings ganz sinnvoll, je früher desto besser – da unser Sohn lediglich lautierte und nur 2 -3 Worte “sprach“. Was sollte es auch schaden? Man hat ja nur die Möglichkeit zu gewinnen. Also meldete ich meinen Sohn kurzer Hand an. Nach der Anmeldung gab es ein kurzes Vorgespräch mit Frau Buschmann und bereits kurze Zeit später die Zusage, dass wir teilnehmen können. Unser Kurs wurde via Zoom als Onlineveranstaltung mit insgesamt 4 Familien angeboten.
Es wurden Grundlagen für einen unglaublichen Sprachschub geschaffen. Man wurde stets liebevoll und äußerst kompetent an die Hand genommen, um so das Erlernte in die Tat umsetzen zu können. Kleinigkeiten, wie das gemeinsame Anschauen/Lesen eines Buches, wurden uns auf einer neuen Ebene gezeigt und bildeten das Fundament der Arbeit des HET.
Wir sind unglaublich dankbar, dass wir die Möglichkeit bekommen haben bei Frau Buschmann diesen Kurs zu besuchen. Es ist kaum in Worte zu fassen, welche enormen Fortschritte die Kinder machen und wir können das Heidelberger Elterntraining nur jedem weiterempfehlen. Unser Sohn ist jetzt 3,5 Jahre alt und wir haben eine Fortführung unseres Kurses nun abgeschlossen. Inzwischen spricht er bis zu 7-Wortsätze und wir hoffen, dass es anderen Familien genauso ergehen wird wie uns.
Ein Erfahrungsbericht über den Übergang Schule – Beruf mit einem inklusiven, besonderen Jugendlichen – ein Hürdenlauf zwischen Berater*innen, Paragraphen und Absurditäten
Landwirtschaft – schon mit 15 Jahren entbrannte der Knabe dafür. Also eine Ausbildung zum Landwirt sollte es sein. Prima, denkt Mutter sich, Leute, die in der Landwirtschaft arbeiten werden gesucht, es gibt Ausbildungsplätze, ist doch eine solide Sache.
Der Haken
Nun gibt es da einen kleinen Haken – Sohn ist kein Normalo, sondern Dank einer genetischen Besonderheit ein besonderes Kind. Ein genau zu lokalisierender Abschnitt auf seinem 22. Chromosom fehlt ihm, und das in jeder Körperzelle. Nach Startschwierigkeiten vielfältigster Art ist nun das Hauptproblem eine Lernschwäche. Sohn würde weder Problem noch Schwäche dazu sagen, er ist halt bisschen langsamer. Kann sich Sachen nicht so schnell merken. Und bei manchen Dingen (Namen und Zahlen) hat er das Hirn eines Wellensittichs (das sagt er selber von sich!). Mit dieser Einsicht hat er letztes Jahr seine Wünsche nach einem Uniabschluss auch erstmal der Realität geopfert. Also Landwirt.
Für besondere Kinder und Jugendliche hält da das deutsche (oder niedersächsische??) Schulsystem allerlei Hürden bereit. Ja klar, da gibt es auch Berater*innen, die da wohl mehr wissen. In Klasse 8 war das aber schon mal so hilfreich. Die Prämisse war: Schulpflicht erfüllen. Also 12 Jahre. Ja, es gibt da „Schlupflöcher“, die nennen sich jetzt Berufseinstiegsschule, aber auf die wurde ich nicht hingewiesen. Also 12 Jahre. Nun war Kind in der Inklusion. Das heißt: alles prima, bist unser I-Kind und nach 9 Jahren hast du deinen I-Schulabschluss (oder so ähnlich). Deine Mitschüler*innen habe dann den Hauptschulabschluss. Du halt nur fast.
12 minus 9 ist…3. Also noch 3 Jahre. Andere Schüler*innen machen da eine Ausbildung (auch die wird als Schulpflichterfüllung gezählt), aber die schafft Knabe ja nicht. Wegen…siehe oben.
Plan ist (und den fanden auch die Berater*innen ganz prima), dass Knabe eine irgendwie geförderte Ausbildung macht. Irgendwie so.
Tipp für Eltern mit besonderen Kindern: Kümmern Sie sich schon in Klasse 8 intensiv um das, was danach kommen könnte. Scheuen Sie keine Wege zu Beratungsstellen, Betrieben, Selbsthilfegruppen, Berufsschulen. Und: Glauben Sie Ihrem / Ihrer Berufberater*in nichts. Nie. Erkundigen Sie sich immer zusätzlich im Netz.
Die Erfüllung
Aber jede Förderung darf erst nach Erfüllung der Schulpflicht genehmigt werden.
Noch 3 Jahre… also wiederholen wir mal Klasse 9. Sind wir dem Knabe-bekommt-eine-geförderte-Ausbildung-Ziel schon ein Jahr näher.
In Absprache mit der Schule darf Knabe danach noch Klasse 10 besuchen. Nützt ihm aber nicht viel, denn zu anspruchsvoll. Also werden Praktika organisiert, um zu sehen, dass Landwirtschaft wirklich DAS ist. Betriebe suchen, die auf seine Besonderheit einzugehen bereit sind. Alternativen organisieren (nicht doch lieber Gastronomie?). Haben wir geschafft und es war insgesamt ein gutes Jahr. Am Ende dieses Praktikums-Schuljahres die Überraschung: Knabe bekommt einen Hauptschulabschluss ausgehändigt, alle Fächer sind „nicht bewertet“, aber der Abschluss steht. Hä? Isso..sobald du in Klasse 10 bist, egal was du in dem Schuljahr machst, bekommst du einen Hauptschulabschluss. Muss man nicht verstehen.
Damit ausgerüstet also das 3. Jahr: wie nähern wir uns dem Ziel. Ja, da gibt es tatsächlich Berufsschulen, die Landwirtschaft als „Einstiegsjahr“ oder gar „theoriereduziert“ anbieten. Fahrtweg (einfach) 1,5 Stunden. Und die Berufsschule vor Ort? Prima, gehen wir doch hier um die Ecke hin, nur ohne den Inklusionskram. Ein Briefing mit dem Knaben klärt dessen Bereitschaft, sich der Überforderung zu stellen. Es geht ja – richtig – nur um die Schulpflichterfüllung. Also ab in die hiesige Landwirtschafts-Berufsschule, jede Note 4 (sehr selten) ist ein Fest, jede Note 5 (und 6) (viele) …ach, egal. Müßig zu erwähnen, dass er dort keine Freunde findet. Aber er hält tapfer durch, feiert die Praxisanteile und lernt schon viel über seinen Wunschberuf.
Tipp für Eltern mit besonderen Kindern: Ihr Kind ist das beste und tollste (Das wussten Sie schon, oder?). Bestärken Sie es, dann hält es auch Zeiten der Überforderung aus.
Der Traumbetrieb
Ist die erste Hürde (Schulpflichterfüllung) nun gemeistert, müsste ja eine auf Knabe angepasste geförderte Ausbildung ganz locker zu organisieren sein. Denkt sich die Mutter so…
Im Laufe vielfältiger Praktika hat Knabe einen wunderbaren Betrieb in Hessen gefunden (klar, Öko…), der ihn gerne für eine theoriereduzierte Ausbildung nehmen würde. So wie er ist. Der ihn sogar toll findet! Das kam Mutter und Kind bisher noch selten unter – bisher war immer alles mühsam für die beteiligten Ausbildungsstätten und es hatte immer den Anschein großzügiger Gnade, irgendwo aufgenommen zu werden. Dieser Betrieb will ihn! Meinen Sohn! Meinen Nicht-Normalo! Gänsehaut!
Nun, auch hier ist Altruismus begrenzt und der Betriebsleiter bringt das „Budget für Ausbildung“ auf unsere Spielfläche. Nachgelesen, was das ist – toll – machen wir! Individuelle Förderung, der Betrieb erhält seine Unkosten wieder, ein Budget eben. Hoffnungsfroh zur zuständigen Dame der Arbeitsagentur getrabt. Die müssen das nämlich genehmigen (und die Gelder dafür frei machen). Mutter denkt: ist doch top: Kind hat Bock, Betrieb hat Bock, los geht’s.
Tipp für Eltern mit besonderen Kindern: Es kann von Vorteil sein, wenn Ihr Kind weiß, in welche Richtung die Ausbildung geht. Auf alle Fälle ist Ihre Kampfbereitschaft höher, wenn Sie wissen wofür.
Der Hürdenlauf
Na ja, es ist zu ahnen, klar geht das nicht so einfach. Nach Aktenstudium beschließt die Arbeitsagentur, dass Knabe noch ein Jahr Berufsvorbereitung machen darf. Genau: „darf“. Zur Erinnerung: Knabe hat ein Schuljahr Praktika gemacht und sich durch ein Berufsschuljahr Landwirtschaft gequält. Nun noch ein Jahr Berufsvorbereitung (ein „Geschenk“ (Originalzitat)). Dann 3 Jahre theoriereduzierte Ausbildung. Macht 6 Jahre. Haben Sie solange gelernt / studiert? Ich nicht….
Wir lehnen höflich ab, Knabe sei schon überaus gründlich orientiert.
Nächstes Angebot der Arbeitsagentur: Ausbildung in einem Berufsförderwerk. Das sind sympathische Einrichtungen, aber im Bereich Landwirtschaft sehr weit weg. Und kein Wohnen auf dem Hof, was dem Knaben sehr wichtig ist. Außerdem hat er ja schon einen Betrieb…
Das wunderbare Budget für Ausbildung
Ja, warum den bitte kein Budget und dann Ausbildung auf dem Wunschbetrieb?
Also, das ersehnte Budget gibt es nur für „werkstattfähige“ Menschen. Und das sei Knabe ja nicht. Er sei zu „fit“ (ergab das Aktenstudium). Budget gibt’s nur für Unfitte. Hm. Die Ausführungen der Arbeitsagentur (wortreich) nehme ich erst einmal hin. Sind ja schließlich die Entscheider, und da ist frau nett und höflich.
Wobei persönlich finde ich „fit“ ja relativ. Unser alter Dackel ist auch noch fit für sein Alter. Bekommt ja auch kein Budget für Ausbildung. Egal – abgelehnt ist abgelehnt, eine schriftliche Ablehnung erhalten wir natürlich nicht und müssen die anfordern. Immer diese anspruchsvollen Kunden…
Also Alternative: theoriereduzierte Ausbildung ohne Budget. Knabe will unbedingt auf seinen hessischen Ökohof. Arbeitet da zur Probe, läuft. Bedeutet vielfältige Anträge für Förderung zum betreuten Wohnen, für so eine Art betreute Ausbildung und noch für Aufstockung des kärgliches Ausbildungsgehaltes. Viel Papier.
Irgendeine dieser Förderstellen ruft an und meint, ja, aber der Knabe sei ja ganz klar ein Fall für ein Budget für Ausbildung. Jaaaaaa… Also kommt der Antrag wieder auf den Tisch der Dame der Arbeitsagentur. Damit die ihm dieses (tolle!) Budget doch noch genehmigt? Ist Sohn vielleicht doch werkstatt- und damit Budget-fähig?
Noch nicht in unserer Sammlung: psychologische Gutachten. Intelligenztest. Rechtsanwalt*in für Sozialrecht. Können wir auch…
Tipp für Eltern mit besonderen Kindern: Wenn Ihr zweiter Vorname bisher nicht „Penetranz“ lautete, sollte er es spätestens ab dem Zeitpunkt der Ausbildungssuche aber sein.
Und weiter?
Wie kommt Knabe nun an seine (geförderte) Ausbildung? Auch nach 9 Wochen Telefonieren und E-Mails keine Lösung in Sicht.
Die Behörden schieben seine Akten von Tisch zu Tisch – die Behörden des Wohnortes meinen nun, es sei doch wirklich am besten, ich würde das alles am (hessischen) Ort der Ausbildungsstätte beantragen. Dafür müsste ich ihn ja nur ummelden und -schwupps – schon sind die anderen zuständig. Das ist sicher nur gut gemeint, zum Wohle des Knaben (Ironie).
Fortsetzung folgt…
Unser erstes Jahr…
In der 28. Schwangerschaftswoche hatte ich eine ganz normale Routineuntersuchung in der Praxis meiner Gynäkologin. Sie arbeitet in einer Gemeinschaftspraxis und war zu dem Termin im Urlaub. So wurde ich von Ihrer Kollegin untersucht. Ihr fiel dabei auf, dass mein Bauch viel zu voluminös war. Während der Untersuchung stellte sich heraus, dass ich zu viel Fruchtwasser hatte. Da dies mehrere Ursachen haben konnte und sie wohl auch eine unausgesprochene Gefahr sah, wurde ich in die Uniklinik überwiesen. Wir bekamen direkt am nächsten Tag ein Termin. Mein Mann und ich gingen mit einem sehr mulmigen Gefühl in diesen Termin und hatten die Nacht zuvor kaum geschlafen, denn es war unsere erste Schwangerschaft. Ich wurde ca. 1,5 Stunden von der Oberärztin geschallt und dachte die ganze Zeit „das hier ist doch alles nur ein schlechtes Missverständnis, die haben sich geirrt“. Doch dann betrat eine weitere Oberärztin den Raum und ich merkte, wie mein Puls schneller wurde und das Adrenalin durch meinen Körper schoss. Die Ärzte sprachen beide ganz ruhig mit mir. Sie zeigten uns auf dem Ultraschall den Herzfehler meines kleinen Sohnes, der zwischendurch ganz fröhlich zu strampeln begann. In diesem Moment brach für uns eine Welt zusammen. Mir liefen die Tränen unentwegt über die Wangen und ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Warum ich, warum wir, warum mein Sohn? Beide Oberärztinnen erklärten uns, dass unser Sohn einen Herzfehler hat und dieser alleine für sich stehen kann, aber auch durch eine Krankheit/Gendefekt hervorgerufen worden konnte. Und was mich heute noch in manchen Situationen zu Tränen führt, sie stellten mir die Option eines „Abbruchs“. Ein Abbruch in der 28. SW.? Ich spürte den kleinen Mann doch schon, er gehörte doch schon längst zu unserer Familie!!! Darauf gingen wir nicht weiter ein, denn für uns stand fest, dieses Kind, was wir nun seit über 2 Stunden auf dem Monitor durchleuchtet haben wollen wir haben!
Nach diesem Termin wurde ich sofort bis zur Geburt krankgeschrieben. Diese sollte Anfang der 37. SW. eingeleitet werden. Eine Spontangeburt wäre auch möglich gewesen, wir wollten das Glück aber nicht herausfordern. Die Uniklinik riet mir dazu mich einige Wochen vor der Geburt schon aufzunehmen. Ich sprach mit meiner Hebamme darüber und sie riet mir ganz klar davon ab. „Das macht was mir Dir, wenn Du die ganze Zeit in der Klinik bist und nur darüber nachdenkst.“ Wir entschieden uns dagegen und ich verbrachte die restliche Zeit bis zur Geburt zuhause und schonte mich, wo ich nur konnte.
Die Vorfreude bei Familie und Freunden war riesig, denn wie gesagt es war unsere erste Schwangerschaft. Erst erzählten wir unseren Familien von der momentanen Lage und wir teilten unsere Gedanken mit Ihnen, was in Zukunft noch vor uns liegen könnte. In den Gesprächen wurde es dann immer ganz still. Der berühmte Elefant stand im Raum und keiner wollte drüber reden. Unsere Freunde, die überwiegend selbst Eltern sind, mussten auch alle schwer schlucken. Wir hatten alle ihr Mitgefühl und das tat uns sehr gut. Hier hatte ich die volle Unterstützung meines Mannes, denn er übernahm den gesprochenen Part. Ich konnte in dieser Zeit nicht darüber sprechen, brachte keine einzige Silber heraus. Und, wie gingen wir als Paar mit dem Thema um? Wir heulten uns die Augen aus, waren wütend, weil wir Betroffene waren und dennoch voller Vorfreude und Neugier auf das alles, was noch vor uns lag.
Und dann war es so weit, unser Sohn sollte das Licht der Welt erblicken. Einen Tag zuvor ging es in die Klinik und morgens um 7:00 Uhr schon ab in den Kreissaal. Nach den ganzen Vorbereitungen wurde der Kleine per Kaiserschnitt geboren und das erste, was wir hörten, war ein lauter Schrei des kleinen Mannes. Er hatte so viel Power und wir waren überglücklich.
Er wurde sofort untersucht und wir verabschiedeten uns von ihm, denn er musste auf die Intensivstation der Kinderklinik und ich zu den Wöchnerinnen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich wohl ein ganzes Schwimmbad vollgeheult, weil ich in diesem Moment nicht bei ihm sein konnte. Mein Mann wich ihm auf der Intensiv nicht von der Seite und berichtete mir den ganzen Tag. So hatte ich jedenfalls alle Infos, was mich auch ein wenig beruhigte. Unserem kleinen Mann ging es gut, er war stabil. Am nächsten Tag konnte ich ihn endlich in meine Arme schließen. Mein Baby von Kopf bis Fuß betrachten, ihn fest an mich drücken und ihn mit meiner Liebe überschütten. Das war auch sehr gut für die Milchproduktion, denn ich musste abpumpen. Klar war das Kuscheln etwas erschwert, da er sehr verkabelt war, aber es klappte trotzdem sehr gut. Wir verbrachten jede freie Minute mit ihm, denn wir wollten für ihn da sein, ihm zeigen, dass er nicht alleine ist. Wie sollte er das ganze auch verstehen? Dass er jeden 3. Tag neu gepikst wurde, weil seine kleinen Miniadern dem einfach nicht Stand halten konnten, die Nasenbrille, die ihm permanent Sauerstoff in seine kleine Mini-Nase blies und dann waren Mama & Papa auch nicht permanent da. Es zerbrach mir das Herz ihn so zu sehen, denn ich konnte nichts, aber auch gar nichts tun, um seine Situation zu verbessern. Ich konnte nur für ihn da sein und ihm das Gefühl geben „alles ist gut, die Mama ist bei Dir“.
Nach ein paar Tagen stand durch den Gentest fest, dass er einen seltenen Gendefekt hat, namens DiGeroge-Syndrom (22q11). Seit dieser Info googelten wir das Thema hoch und runter und versuchten so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen. Es gibt Erfahrungen von bis, doch wo sollten wir uns und den kleinen Mann einordnen?
Nach 4 Wochen musste gehandelt werden, denn unser Sohn kam mit einer Pulmonalatresie mit VSD zur Welt. Das heißt, der Weg vom Herz zur Lunge war verschlossen. Durch das Loch zwischen den beiden Herzwänden konnte das Blut in seinem Körper zirkulieren, auch wenn sauerstoffarmes mit -reichen Blut vermischt wurde. Und klar wurde er durch eine Nasenbrille zusätzlich mit Sauerstoff versorgt. Aber das war ja kein Dauerzustand! In einer mehrstündigen OP erbrachten die Kardiologen der Uniklinik ein großes Wunder! Sie retteten unserem Sohn das Leben…und auch das unsere.
Wir waren so glücklich, unseren Sohn nach 5 Wochen mit nach Hause nehmen zu können. Endlich konnten wir die Uniklinik mit den ganzen piependen Geräten, den vielen Menschen und dem permanenten Geruch von Desinfektionsmittel hinter uns lassen. Auch wenn dort alle mit ganz viel Herz und Einfühlvermögen für unser Wohlergehen sorgten, so ist es zuhause doch am schönsten. Aber nun waren wir mit ihm alleine. Zwar hatten wir noch einen Monitor mitbekommen, der uns den Puls und die Sauerstoffsättigung anzeigte und mussten auch noch einen Erste-Hilfe-Kurs absolvieren, aber irgendwann würde auch mal der Zeitpunkt kommen, an dem wir schnell in die Klinik müssten, außerhalb der üblichen Termine. Doch jetzt genossen wir erst mal die Zeit zu dritt. Wir kuschelten den ganzen Tag und ließen ihn keine Minute aus den Augen, wir waren so unglaublich glücklich, ihn endlich bei uns zu haben. Da es ihm schwer fiel, gestillt zu werden, pumpte ich permanent ab. Und der kleine Mann hatte Hunger, er trank jeden Tag über einen Liter Milch. Zwischendurch verabreichten wir ihm noch die ganze Palette an Medikamenten.
Die ersten 3 Monate sollten wir niemanden treffen, da keiner genau sagen konnte, wie sein Immunsystem reagierte. Danach erhielten wir grünes Licht von der Klinik und stellten ihn der Familie und Freunden vor. Alle waren ein wenig verblüfft, denn unser Sohn sah aus, wie ein normales Baby. Er war speckig, neugierig und begrüßte jedem mit einem Lächeln. Er schrie, wenn er Hunger hatte oder auf den Arm wollte. Was ihn von den anderen Babys unterschied, waren die regelmäßigen Untersuchungen in der Uniklinik, die ständigen Blutentnahmen und die permanente Beobachtung von außen. Für uns Eltern eine sehr anstrengende Zeit, denn wie oft fing der Monitor in der Nacht an zu piepen, auch wenn es kein echter Alarm war, sondern nur eine unkontrollierte Bewegung oder das „Leuchtpflaster“ klebte nicht mehr so. Aber es gab auch die echten Alarme, wenn er nachts vor lauter Hunger aufwachte und um seine Milch schrie. Wir mussten die abgepumte Milch nur erwärmen, dennoch kamen uns manchmal die 5 Minuten wie eine Ewigkeit vor, wenn neben dem Schreien auch noch der Monitor anfing zu piepen. Ok, jetzt hatten wir auch wieder Puls und das mitten in der Nacht. Wir wollten immer alles richtig machen und kamen unserer Umwelt wie die überfürsorglichen Helikopter-Eltern vor, die übernervös vor dem Bettchen des Kindes standen und auf einen Piep warteten. Wir waren nervös, wenn er hustete oder auch nur ein komisches Geräusch von sich gab, welches wir bis dato noch nicht kannten. Durch die Medikamente hatte er starke Verstopfung, die sich auch nicht so einfach behandeln ließ. Wir massierten den Bauch im Uhrzeigersinn, kauften bestimme Öle und Tees, trugen ihn bäuchlings auf dem Arm. Wir versuchten alles, aber das Leiden konnte nicht ganz behoben werden. Es lag halt auch ein den Medikamenten und dem Gendefekt, der Hypertonie der Muskulatur.
Wir wussten, dass er in seiner Entwicklung verzögert ist, denn wir hatten in der kurzen Zeit viel über den Gendefekt gelesen. Man merkte es an Kleinigkeiten, er rollte sich erst sehr spät und dann hörte er gar nicht mehr damit auf. Der Vierfüßler Stand war noch in weiter Ferne und mit ca. 6 Monate gingen wir dann mit ihm zur Physio. Krabbeln lernte er zwar doch erst mit 18 Monaten und die wöchentliche Physio unterstützte ihn sehr dabei. Dadurch hatten wir auch etwas Abwechslung und kamen mit anderen Müttern und Kindern in Kontakt. Wir besuchten auch den Musikgarten und waren auch mal kurzzeitig beim Babyturnen. Zwar sagt einem die Umwelt nicht, dass ihnen etwas an deinem Kind auffällt, aber sie zeigen es in Ihren Blicken und Reaktionen. Am Anfang fand ich es sehr schlimm, denn ich wollte auch zu den „normalen“ Müttern gehören und tat auch alles dafür, dennoch merkte ich schnell, dass einige persönlich nicht mit diesem Thema umgehen konnten/wollten und uns so eher nüchtern entgegentraten. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass wir nach außen hin ein sehr nervöses Bild abgaben und alle Eltern, die auch ein komplett anderes Leben als vorher hatten, einfach das Weite suchten, um nicht noch mehr belastet zu werden. Was ich damit sagen möchte, jeder im näheren und weiteren Umfeld reagiert anders auf so eine Situation. Die einen melden sich wie immer und sind sehr interessiert, andere suchen einfach das Weite, weil sie sich mit der Situation nicht auseinandersetzen möchten oder ihr Leben auch Kopf steht und noch eine Story keinen Platz hat. Jede dieser Reaktionen ist richtig und soll auch so sein, denn es ist menschlich. Wir fühlten uns trotz dem ganzen Verständnis unsererseits in unserem kleinen Mikrokosmos manchmal sehr allein. Ja, unser Familienthema war unser Sohn, der mit einem schweren Herzfehler und einem Gendefekt auf die Welt kam. Wir reden auch gerne bei jedem Treffen darüber, weil wir uns die schwere Zeit von der Seele sprechen möchten, aber auch stolz sind für jeden kleinen Fortschritt, den unser kleiner Mann so leistet. Und selbst hier ernteten wir innerhalb des näheren Umfelds Sprüche wie „das kann der immer noch nicht, ihr geht doch die ganze Zeit mit ihm zur Physio“, „wir finden es schon blöd, wenn die Großeltern die ganze Zeit von eurem Kind sprechen, was er wieder für Fortschritte gemacht habt, wenn sie mal bei uns und unseren Kids zu Besuch sind“, „aber irgendwann muss das Thema doch mal zu Ende sein, oder?“, „der ist aber klein für sein Alter – unsere Antwort: Ja, er hat auch einen schweren Herzfehler und Gendefekt“, „isst der immer noch keinen Brei, da müsst ihr aber langsam mal loslegen“. Ich kann mich Gott sei Dank nicht mehr an die meisten Sprüche erinnern, aber diese Erfahrung bot mir einen ganz anderen Blick auf die Menschen in meinem Umfeld. Die meisten sind ganz weit weg von unserem Thema und mischen sich trotzdem ein und wollen uns mit guten Ratschlägen, mit ihrem Halbwissen, ihre Meinung aufzwingen. Was ein totales „No Go“ ist. Denn das macht auch was mit Dir, denn wir fragten uns manchmal „ist die Umwelt gerade wirklich so unempathisch, oder haben wir etwas falsch verstanden?“. Manchmal hatten wir das Gefühl, wir müssten uns rechtfertigen, dabei war es offensichtlich, dass wir beide keine Schuld an der Spontanmutation hatten. Auch wenn es so gewesen wäre, dann ist es so, Punkt! Es wurde nach Lösungen gesucht, für die es einfach keine Antwort gab. Aber das Ganze hatte nichts mit uns, sondern einfach nur mit ihnen zu tun, mit ihrer Art zu denken, mit ihren Erfahrungen und wie sie mit solchen Situationen umgehen. Diese Denke können wir weder beeinflussen oder ändern und möchten es auch nicht.
Was hat das erste Jahr mit uns als Paar gemacht. Wir wurden auf eine harte Probe gestellt. Mal abgesehen davon, dass das erste Kind bei allen Paaren das Leben auf den Kopf stellt und bei uns durch die besondere Situation noch ein wenig mehr dazu kam, haben wir doch einen guten Weg als Paar gefunden. Nach kurzer Zeit hatte jeder seine Aufgaben, und ich bin sehr glücklich, dass ich so einen tollen Mann an meiner Seite habe, der mich sehr unterstützt hat und es auch noch heute tut. Da ich vollen Erziehungsurlaub genoss, ging mein Mann die ganze Woche arbeiten und das bedeutete, noch vor der Pandemie, jeden Tag ins Büro zu fahren. Was für ein Wahnsinn! Ich kümmerte mich den ganzen Tag um unseren Sohn und die Wochenenden verbrachten wir zu dritt, mit Freunden und Familie. Im Rückblick, wie bei allen anderen Familien auch, und doch ein bisschen anders.
Bennett (rotes Hemd) ist heute 6 Jahre alt und sein Bruder Moritz (blaues Hemd) 4. Wir haben immer unser eigenes Ding durchgezogen, auch wenn es von außen her persönliche Angriffe und andere Meinungen gab. Aber es ist unser Leben und wir sind die Eltern von diesem „besonderen“ Kind. Wir kennen ihn am besten und handeln nur in seinem Sinne. Und alles das, was wir getan haben, war richtig, auch wenn wir manchmal falsch abgebogen sind.
QUO VADIS unser Kind
Ohne ein Millenium-Baby geplant zu haben, kam unsere Wiebke, nach einer unspektakulären Schwangerschaft, im Sommer 2000 zur Welt.
Die Geburt ging wirklich fix, aber das musste sie auch, denn Wiebke hatte keine Zeit zu verlieren.
Sie wurde mit einem schweren Herzfehler, eingedrückten Bronchien, und nur einem funktionsfähigen Lungenflügel geboren. Mit sechs Wochen wurde der Herzfehler operiert und ein klappentragendes Conduit zwischen Herz und Lunge eingesetzt. Nach knapp fünf Monaten durfte Wiebke das Krankenhaus verlassen. Aber sie war immer noch an eine Sauerstoffversorgung angeschlossen und wurde mit einer Magensonde ernährt, weil sie zum trinken zu schwach war. Zusammenfassend gesagt war der Start mehr als schwierig.
Bis zum Alter von 18 Monaten verweigerte Wiebke jede Art von Nahrung, sodass sie und meine Frau in Hamburg im Werner-Otto-Institut stationär zum Esstraining aufgenommen wurden.
Im Laufe der Zeit kristallisierten sich noch mehrere Erkrankungen heraus. Eine Immunschwächeerkrankung beeinflusste Wiebkes Entwicklung erheblich.
Aus Wiebkes Frühförderung, die sie im Alter von ca. 18 Monaten bis zum Besuch des Kindergartens mit 3 Jahren erhielt, ließ sich schon sehr bald schließen, dass sie in einer Regelkindergartengruppe deutlich überfordert wäre.
Es blieb die Wahl zwischen einem heilpädagogischen Kindergarten oder einem Regelkindergarten mit Integrationsgruppe .
Wir entschieden uns für den Regelkindergarten mit Integrationsgruppe, da diese mit nur 14 Kindern recht klein war.
Da Wiebke durch häufige Erkrankungen mit mehreren Krankenhausaufenthalten eine extrem starke Mutter-Kind-Bindung entwickelt hatte, war die Eingewöhnung im Kindergarten sehr schwierig. Dazu kam, das sie durch die Immunschwäche häufiger und länger krank war als andere Kinder, und somit die Eingewöhnung jedes mal von neuem begann.
Nach den anfänglichen Startschwierigkeiten ist Wiebke dann aber gerne in den Kindergarten gegangen, und hat dort auch Freunde gefunden.
Am Ende der Kindergartenzeit gab es das Ritual, dass die angehenden Schulkinder „rausgeschmissen“ wurden. Alle Kindergartenkinder riefen: „Fenster, Türen aufgerissen, Wiebke wird jetzt rausgeschmissen“.
Mit diesem Ruf wurde sie aus dem Fenster geworfen, und landete auf einer dicken Turnmatte. Sie war stolz wie Bolle.
Für uns hatte sich natürlich vorher schon die Frage nach einer geeigneten Schule mit geringer Klassengröße gestellt.
Nach mehreren Gesprächen mit der Heilpädagogin im Kindergarten kam für uns eine Regelschule für Wiebke nicht in Frage.
Daraufhin stellten wir einen Antrag auf sonderpädagogischen Unterstützungsbedarf an einer Förderschule mit dem Schwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung.
Wiebke hat daraufhin im Alter von 7 Jahren die Mira-Lobe-Schule (vormals Werner-Dicke-Schule) in Hannover besucht. Sie wurde durch einen Fahrdienst zur Schule und wieder nach Hause gebracht. Der einzige Nachteil der Schule war, dass Wiebke dadurch keine Freunde bei uns im Ort hatte.
Wiebke ist dort aber sehr gerne zur Schule gegangen, und hat einen ganz hervorragenden Schulabschluss Kerncurricula Lernen gemacht. Daraufhin schlug ihre Klassenlehrerin vor, Wiebke sollte doch versuchen in Klasse 10 einen Hauptschulabschluss zu machen. Da Wiebke sehr ehrgeizig ist, stimmte sie dem natürlich zu.
Kurz nach Schuljahresbeginn, im September, entwickelte Wiebke im Alter von 17 Jahren eine schwere Depression. Von einem Tag auf den anderen, ohne jegliches Vorzeichen, wurde aus unserem bis dahin unbeschwerten, fröhlichen und der Welt zugewandten Teenager, ein zutiefst verzweifeltes, trauriges und sich vor lauter Seelenschmerz selbst verletzendes Mädchen. Diese Zeit war auch für jeden einzelnen von uns sehr schwierig, und hat uns sehr viel Kraft gekostet.
Wir mussten auch feststellen, das wir allein Wiebke nicht helfen konnten und es dringend professioneller Hilfe bedurfte. Nach einer umfangreichen Diagnostik im Kompetenzzentrum Psyche in Würzburg stellte sich heraus, dass die Depression durch eine Überforderung in der Schule ausgelöst wurde. Das kam für uns alle überraschend. Erst im Gespräch mit den Würzburger Psychologen wurde Wiebke klar, dass sie zu ehrgeizig war und sich damit überfordert hatte.
Für Wiebke war es 9 Monate nicht möglich die Schule zu besuchen. Erst durch Psychotherapie und nach mehreren, nur maximal 20minütigen Kurzbesuchen in der Schule, war es ihr wieder möglich an einer Eingliederungsmaßnahme von 4 Unterrichtsstunden täglich, über einen Zeitraum von 8 Wochen, den Unterricht wieder aufzunehmen, jedoch ohne das Ziel einen Hauptschulabschluss zu machen.
Für uns war Wiebkes Schulabschluss nie von großer Wichtigkeit.
Viel mehr war es uns von jeher wichtig, das Wiebke glücklich ist.
Ihre depressive Episode hatte uns weiter darin bestärkt, keinen Wert auf Zeugnisse oder Abschlüsse zu legen, und Wiebke auch ab und an vor sich selbst zu schützen.
Ihre Klassenlehrerin schlug ihr ein Praktikum in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung vor. Für Wiebke war der Begriff Werkstatt mit so vielen negativen Vorstellungen verbunden, das es für sie anfangs absolut nicht in Frage kam. Trotzdem ließ sie sich darauf ein.
In ihrem Praktikum konnte sie allerdings selber feststellen, wie viele Möglichkeiten sich dort für sie boten. Und nach Praktikumsende
sagte sie:“ Da will ich hin, da ist es super.“ Wir können nur jedem empfehlen ruhig ein Praktikum in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Erwägung zu ziehen. Denn wer von einer Werkstatt immer noch die Vorstellung hat, das dort nur Schwerstbehinderte Schrauben sortieren, der ist einfach schlecht informiert.
Bevor sie in der Werkstatt starten konnte, stand aber noch ein Gespräch mit dem Reha-Berater der Bundesagentur für Arbeit an. Dieser berücksichtigte aber die von uns vorgelegten Gutachten und Empfehlungen des Kompetenzzentrum Würzburg nicht, auch hatte er kein wirkliches Interesse an Wiebkes Wünschen. Vielmehr wollte er Wiebke und auch uns zu einer Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt überreden.
Das hatte zur Folge das unsere 1,54 m kleine Tochter sich auf ihrem Stuhl aufplusterte und sehr bestimmend sagte:“ Damit das klar ist, ich will in die Hannoversche Werkstatt und nirgendwo anders hin.“
Das hat dann auch der Reha-Berater endlich verstanden. Und so nahm Wiebke, im Alter von 19 Jahren, ihre Ausbildung am 19.08.2019 in den Hannoverschen Werkstätten auf. Sie hat im Berufsbildungsbereich „Dekoration und Service“ angefangen, was ihr super gut gefallen hat.
Im nach hinein stellten wir uns die Frage, warum die Reha-Berater in Niedersachsen unbedingt versuchen alle Menschen auf den ersten Arbeitsmarkt zu bringen. Wir hatten das schon mehrfach gehört, konnten uns aber erst einmal nicht vorstellen, was der Grund dafür ist.
Der Grund ist wie bei allem, Geld! Während die Berufsausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt vom Arbeitgeber finanziert wird, wird eine Ausbildung in der Werkstatt für Behinderte von der Bundesagentur für Arbeit bezahlt. Außerdem hat die Ausbildung in einer Werkstatt das Ziel, dass der oder die Betroffene sich dort ausprobieren kann, um dort für sich das richtige zu finden. Hier wird jeder nach seinen Fähigkeiten eingesetzt und ihm wird täglich das Gefühl gegeben dort gebraucht zu werden.
Hat ein Reha-Berater erst einmal die Tauglichkeit für den ersten Arbeitsmarkt bescheinigt, wird es für den Betroffenen extrem schwierig in eine Werkstatt zu wechseln.
Dann kam im Frühjahr 2020 CORONA, und das Verhängnis nahm erneut seinen Lauf.
Wiebke ist jemand der gerne im voraus weiß, was passieren wird.
Wie wir aber alle wissen, änderte sich in der ersten Corona-Zeit ständig alles. Es gab jeden Tag neue Vorschriften, in der Werkstatt und beim Fahrdienst. Und dieses tägliche „Nicht wissen was passiert als Nächstes“ hat Wiebke komplett aus ihrer Bahn geworfen.
Sie ist erneut in eine schwere Depression gefallen, und hat sich von allen anderen Menschen absolut ferngehalten. Gleichzeitig hat sie auch ihr Handy, ihre heiß geliebte Kontaktquelle zu ihren Freunden, abgeschaltet. Und ist wieder in ihrer Dunkelheit versunken. Dieses Mal ging es nicht so schnell. Wiebke ist Weihnachten 2020 erkrankt und ist erst jetzt im März 2023 wieder soweit, dass sie in naher Zukunft wieder die Werkstatt besuchen kann. Ihre Erkrankung hatte zur Folge das sie ihre Ausbildung im Berufsbildungsbereich der Werkstatt nicht bis zum Ende absolvieren konnte.
Es war kein leichter Weg, aber Wiebke hat sich nie aufgegeben und immer gekämpft, damit es ihr wieder besser geht. Sie ist nun von sich aus wieder bereit in die Werkstatt zu gehen. Sie wird dann zwar nur noch halbtags in der Werkstatt sein, um einer erneuten Überforderung vorzubeugen, aber sie hat wieder eine Beschäftigung die sie gerne macht, und mit der sie glücklich ist.
Es ist sicherlich allen klar, dass man in einer Werkstatt keine Reichtümer verdient. Aber ist es nicht umso schöner, wenn man sieht das sein Kind glücklich und zufrieden ist, und jeden Tag mit Freude zur Arbeit geht? Denn
wir müssen ja auch mal ehrlich sein, die meisten unserer Kinder sind nicht als Albert Einstein geboren. Und man stelle sich mal vor, dass man von seinen Kollegen auf dem ersten Arbeitsmarkt ständig gemobbt und nicht wertgeschätzt wird, weil man nicht so schnell und belastbar, und in manchen Situationen einfach anders ist als andere. Und in einer Werkstatt darf man das alles einfach sein, da dort jeder „anders“ ist.
Man macht sich natürlich viele Gedanken über den Weg seines Kindes, und ob die Entscheidungen die man getroffen hat, richtig waren.
Wir können abschließend nur sagen das der Weg den wir zusammen mit Wiebke gewählt haben der richtige ist.
Unser nächstes Ziel ist, das Wiebke sich traut von zu Hause auszuziehen. Und wir sind sicher das wir auch das zusammen meistern werden.
Einleitend muss gesagt werden: wir haben die Diagnose für unseren Sohn erst erhalten, als er 3 Jahre war. Demnach haben sich alle kleinen Puzzleteile erst zu diesem Zeitpunkt tatsächlich zusammengesetzt. Da seine „Hauptbaustelle“ die Sprache ist, möchte ich unseren bisherigen Weg bezüglich dieser Entwicklung mit diesem Erfahrungsbericht teilen. Zunächst hatte er mit 10 Monaten die ersten Paukenergüsse beidseitig. Diese sollten über 3 Monate beobachtet werden, bevor dann weitere Schritte besprochen werden sollten.
Im Dezember 2018 hatte er dann eine Mittelohrentzündung, bei der beidseits die Trommelfelle gerissen sind. Nachdem zunächst ein Ansprechen auf die antibiotische Behandlung zu sehen war, hielt dieses nur ca. 2 Wochen an. Dann die nächste MOE mit laufenden Ohren und hier startete die Odyssee. Angefangen mit einem Krankenhausaufenthalt mit intravenöser Antibiose über gefühlt alle 3 Wochen das gleiche Spiel von vorne, zwischendurch Einsatz von Röhrchen in die (eh schon kaputten) Trommelfelle und leider auch Entfernung der Polypen, weil wir zu dem Zeitpunkt seine Diagnose noch nicht kannten. Das Ganze lief über ca. ein Jahr und aufgrund der „Ohr-Problematik“ hatte natürlich keiner erwartet, dass die Sprache einsetzt. Wir kannten das bereits auch von anderen Kindern aus dem Bekanntenkreis, die mit Paukenergüssen und MOEs zu tun hatten und daher machten wir uns darüber zunächst keinen allzu großen Kopf.
Inzwischen hatten wir auch einen Termin in der Pädaudiologie vereinbart, auf den wir allerdings ca. 5 Monate warten mussten. Dann kam Corona und die Kita schloss. Neben vielen Hürden hatte diese Schließung tatsächlich einen positiven Aspekt für uns, seine Ohren beruhigten sich zum ersten Mal seit über einem Jahr und hörten auf zu laufen. Ich war nun felsenfest davon überzeugt, dass damit auch die Sprachentwicklung nach kurzer Zeit einsetzen würde, was leider nicht der Fall war.
Der Termin in der Pädaudiologie brachte dann zum ersten Mal eine ganz große Ernüchterung. Leider sehr Empathie-los wurde mir aufgezählt, was alles an meinem Kind nicht stimmt: die Augen zu weit auseinander, die Ohren zu tief, der Unterkiefer klein und nach hinten gesetzt, der Mund offen und die Zunge am falschen Platz, außerdem laufe er breitbeinig und nicht rund. Weiterhin diagnostizierte die Oberärztin eine submuköse Gaumenspalte, von der allerdings bis heute nicht klar ist, ob es sie wirklich gibt (sie wurde von einem Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen, Dr. Koch in Siegen, nicht nachgewiesen). Dass er in einer Regelkrippe untergebracht war, konnte die Ärztin gar nicht nachvollziehen und riet uns dringenst einen Förderkindergarten zu suchen. Ich war mit einem vermeintlich gesunden Kind (bis auf die Ohr-Thematik) zu dem Termin gegangen und kam mit einem völlig „kaputten“ Kind nach Hause. Das war das schrecklichste, was mir bis dahin je passiert war. Nun ging die ganze Diagnostik los: Abklärung des Hörvermögens, genetische Untersuchung etc. pp. Weiterhin Beantragung von Frühförderung und einer I-Kraft für den Kindergarten. Interessanterweise wurde uns in der Pädaudiologie davon abgeraten, zur Logopädie zu gehen mit der Erklärung, dass das keinen Sinn machen würde, bevor er 4 Jahre alt sei. Zu dem Zeitpunkt war er 2,5 Jahre.
Als ich das in unserer Krippe erzählte, schlug die Erzieherin die Hände über dem Kopf zusammen und riet uns ganz eindringlich dazu, auf jeden Fall mit Logopädie zu starten um mit dem Training der Mundmotorik anzufangen, die ja ein wichtiger Teil der Sprachentwicklung ist. Ich bin sehr froh, dass ich auf sie und nicht die Ärztin gehört habe und schleunigst auf die Suche nach einer/m Logopäd*in gegangen bin.
Die Abklärung des Hörvermögens lief unterdessen und war durchaus chaotisch: eine BERA Messung ergab, dass die Schallwellen im Gehirn ankommen und verarbeitet werden (so habe ich als Laie es zumindest verstanden), weitere Untersuchungen ergaben, dass er aufgrund eines inzwischen recht großen Lochs im rechten Trommelfell eine Schallleitungsschwerhörigkeit aufweist. Während der Visite mit der Oberärztin war die Aussage, dass sein Hörvermögen trotzdem ausreichend für die Sprachentwicklung sei und er keine Hörgeräte brauche, beim Abschlussgespräch mit der Assistenzärztin fragte sie, wie ich darauf käme, dass er keine Hörgeräte brauche, er habe doch eindeutig ein vermindertes Hörvermögen. Die Audiolgin war von dieser Rolle rückwärts ebenso überrascht wie ich, stellte uns dann aber noch schnell einen Ausleihschein für Schallleitungs-Hörgeräte aus. Diese akzeptierte er jedoch nicht und in einem nächsten Termin in der Pädaudiologie war dann auch wieder die Aussage, dass er sie gar nicht brauche.. Da wir auch im Alltag das Gefühl hatten, dass er recht gut hört, zumindest wenn seine Ohren gerade frei waren, haben wir das Thema Hörgeräte dann erstmal ad acta gelegt.
In der Zwischenzeit ging es los mit der Logopädie. Wir waren anfangs bei einer Logopädin, die das Prinzip nach Pönbacher anwendete und zusätzlich taktile Reize im Mund setzte, um die Mundmotorik zu verbessern. Außerdem gab sie uns eine „Mundtüte“, deren Inhalte spielerisch anzuwenden sind, um die Mundmotorik zu verbessern. Bezogen auf die Mundmotorik machte er dann auch ganz gute Fortschritte, so dass sie zunächst sehr zufrieden mit sich und ihrer Arbeit war. Von mal zu mal versuchte sie dann mehr die Lautentwicklung anzubahnen. Dazu nutzte sie unter anderem Gebärden-unterstützte Kommunikation (GUK), aber zusätzlich auch TOLGS-Lautgebärden. Alles für sich genommen, sicher eine sinnvolle Sache, aber leider holte sie uns - in diesen Dingen völlig unerfahrene Eltern - nicht so richtig dazu ab. Wir konnten zu Anfang nicht gut unterscheiden, was zur GUK und was zu den Lautgebärden gehört und vermischten irgendwie alles miteinander. Das kam natürlich auch in Gesprächen mit allen anderen Bezugspersonen von ihm (Erzieher*innen, I-Kraft und Frühförderin) zum tragen und am Ende waren alle verwirrt.
Erschwerend kam hinzu, dass unsere Frühförderin von der Frühförder- und Beratungsstelle für Hörgeschädigte kam und damit auch noch die offizielle deutsche Gebärdensprache mit einführte. Robin selbst überlegte sich zusätzlich noch eigene Gebärden und am Ende war es nur noch ein Hin und Her zwischen allen und jeder bestand darauf, dass seine Methode die einzig richtige sei.
Wir Eltern hatten es zu dem Zeitpunkt schon mehr oder weniger aufgegeben, weitere Gebärden zu lernen und verständigten uns mit ihm einfach weiter mit Händen, Füßen und vor allem Zeigen. Im vom Verein organisierten online Heidelberger Elterntraining haben wir dann zum ersten Mal gelernt, wie wir die Sprachentwicklung sinnvoll unterstützen können. Was allerdings eine noch wichtigere Erkenntnis und Hilfe in diesem Training war, waren die Übungen, die wir an die Hand bekommen haben, um die Muskelkraft des Gaumensegels zu stärken.
Ab da durfte er jeden noch so schweren Stuhl durch die Gegend schieben, jede noch so schwere Tür selbst aufdrücken, wir haben Fußball gespielt und viele andere nach vorne gerichteten Ballspiele. Inzwischen schafft er es zumindest, so viel Druck im Mund aufzubauen und Luft über den Mund rauszupusten, dass es für Seifenblasen reicht :-).
Das Verhältnis zu unserer Logopädin kühlte im Verlauf des Jahres mehr und mehr ab. Sie war von mal zu mal unzufriedener, weil er aus ihrer Sicht keine ausreichenden Fortschritte machte. Sie war der Meinung, er wolle nicht und wir würden ihn nicht ausreichend antreiben - was wir sicher auch nicht taten, da wir oft gar nicht wussten, was wir eigentlich zu Hause machen sollten. Ich hatte ihr angeboten, dass ich ihr nochmal das Informationsmaterial zum Thema Logopädie vom Verein zukommen lassen könne, das lehnte sie aber ab, weil sie sich zum einen ja sowieso mit dem Syndrom auskenne (sie hatte in ihrer Ausbildung einmal ein Kind mit 22q kennengelernt) und zum anderen auch ihre Therapieart deswegen nicht ändern würde. Letzteres kann ich sogar nachvollziehen, da Logopäd*innen sich natürlich im Laufe ihrer Tätigkeit spezialisieren (müssen), bei der Fülle an therapeutischen Möglichkeiten, die es in dem Bereich gibt.
Was ich ihr aber wirklich ankreide, ist, dass sie weder sich noch uns eingestehen konnte, dass sie ihm höchstwahrscheinlich mit der Sprachanbahnung nicht mehr weiterhelfen können wird. Es wäre sicher für alle Beteiligten besser ausgegangen, wenn sie uns an irgendeinem Punkt dazu ermuntert hätte, jemand anderen zu suchen und uns hätte ziehen lassen. Stattdessen wurde sie immer unfreundlicher, gab uns in seinem Beisein immer wieder schlechtes Feedback über seine fehlende Entwicklung („andere Kinder haben auch Beeinträchtigungen und machen trotzdem Fortschritte. Er ist der Einzige, der keine macht“).
Am Ende informierte sie uns 2 Wochen bevor sie die Praxis verließ, dass wir uns jemand neuen suchen müssten. Gott sei Dank hatte ich diese Suche längst angestoßen, da ich selbst in den letzten Monaten immer Bauchschmerzen hatte, wenn ich ihn bei ihr abliefern musste und er auch nur noch mit viel gutem Zureden zu ihr ging.
Nun kamen zwei sehr glückliche Zufälle zusammen: Zum einen entpuppte sich die neu gefundene Logopädin recht schnell als „Volltreffer“ (dazu später mehr), zum anderen stand eine einwöchige Intensivtherapie-Kur auf dem Risthof im Allgäu an, während der eine neue Therapieform zur Sprachanbahnung mit ihm ausprobiert wurde: eine Therapie nach KoArt.
Hier werden mit Hilfe einer verbalen Beschreibung der Aussprache zunächst einzelne Buchstaben geübt. Im nächsten Schritt werden dann abwechselnd 2 bis mehrere Buchstaben gesprochen, daraufhin werden Silben und im nächsten Schritt Worte zusammengesetzt. Konnte er vor dieser Woche nur Worte sprechen, die keinerlei Konsonanten erhielten (Ausnahme „Mama“), sind wir nach Hause gefahren mit „Papa“ (mit 4 Jahren zum ersten Mal!), „Oma“, „Opa“, „Baum“, „Ball“ und noch einigem mehr im Gepäck.
Es war wirklich der Anfang eines kleinen Durchbruchs, weil diese Logopädin im Allgäu erkannt hatte, dass ihm nicht nur die Mundmotorik und das Gaumensegel zu schaffen machten, sondern auch ein nicht zu unterschätzender Anteil von Dyspraxie hinter seiner Sprachproblematik steckt. An dieser Stelle noch einmal zurück zu unserer neuen Logopädin zu Hause: da das Castillo- Morales-Konzept häufig propagiert wird, wenn es um Kinder mit muskulärer Hyoptonie geht, hatte ich meine Suche genau darauf ausgerichtet. Die daraufhin gefundene Logopädin war (und ist immer noch ;-)) eine sehr alte und vor allem erfahrene Dame mit dem i-Tüpfelchen eines Therapiehundes, womit man unseren Sohn immer abholen kann!
Bereits vor unserem Aufenthalt auf dem Risthof waren wir ca. 4x bei ihr. Aber anstatt stur ab der ersten Stunde das Castillo- Morales-Konzept anzuwenden - was ich ursprünglich gehofft hatte - hat sie diese ersten Stunden vor allem dazu genutzt, sich ein Bild von unserem Sohn zu machen. Als wir den ersten Termin nach der Intensivtherapie bei ihr hatten, war ich sehr nervös, weil ich - v.a. aufgrund meiner Vorerfahrung - wenig Hoffnung hatte, dass sie sich dafür interessieren könnte, was wir dort gemacht haben und dass er damit wirklich zum ersten Mal für uns ersichtliche Fortschritte gemacht hatte.
Aber das Gegenteil war der Fall! Und noch besser, sie hatte sich inzwischen genau diese Therapieform selbst für ihn überlegt. So wird er nun seit einem knappen Jahr nach KoArt therapiert, wir haben genaue Vorgaben, was wir wie lange zu Hause mit ihm üben sollen und seither macht er große Fortschritte. Vor allem in den letzten Wochen und Monaten ist sein Wortschatz wirklich „explodiert“ und die neuen Worte purzeln inzwischen auch spontan aus ihm heraus, ohne dass man sie vorher lange üben muss. Bei all dieser Euphorie muss man an dieser Stelle allerdings auch einordnen, dass er mit seinen inzwischen 5 Jahren auf dem sprachlichen Stand eines ca. 2-jährigen ist und für Außenstehende nach wie vor eine Fremdsprache spricht. Viele Konsonanten bereiten ihm immer noch große Probleme (K, G, T, D, etc) und die Entfernung der Polypen war sicher auch nicht hilfreich.
Trotz allem sind wir optimistisch, dass er bis zum Schuleintritt noch einige Fortschritte machen wird. Dieses Thema beschäftigt uns nun aktuell, da die Unterlagen zur Schulanmeldung auf dem Tisch liegen. Hier wird die Reise höchstwahrscheinlich in Richtung Sprachheilschule und/oder ein Jahr zurückstufen gehen, um ihm nochmal etwas mehr Zeit für die weitere Sprach- und Gesamtentwicklung zu geben. Ende diesen Jahres steht außerdem eine 4-wöchige Sprachheilreha in Werscherberg an, die wir nach 2- maligem Einspruch bezüglich der Einrichtung, dort genehmigt bekommen haben.
In diesem Zusammenhang kann ich nur empfehlen, sich frühzeitig vor Schuleintritt um den Antrag auf eine Sprachheilreha zu kümmern. Vor allem, wenn man gerne in die Klinik Werscherberg möchte. Werscherberg wurde bei uns ursprünglich abgelehnt, da die Warteliste zu lang sei und bei unserem Sohn schneller Handlungsbedarf bestehe. Erst als ich beim 2. Einspruch ein längeres Schreiben mitgeliefert hatte, dass wir diese lange Wartezeit einkalkuliert hatten und daher den Antrag frühzeitig vor Schuleintritt gestellt haben und zusätzlich aufgeführt habe, dass auch eine gewisse Reife vorhanden sein muss, um so ein 4-wöchiges intensives Programm zu durchlaufen, wurde meinem Einspruch stattgegeben.
Fazit all unserer Erfahrungen bisher (auch unabhängig vom Thema Sprache/Logopädie): wir sind immer am besten gefahren, wenn wir uns auf unser Bauchgefühl verlassen haben. Sobald der Bauch anfängt, sich zu melden, sollte man darauf hören und schauen, ob alles noch in den richtigen Bahnen läuft. Was Therapeut*innen und Ärzt*innen angeht, so ist meine Erfahrung inzwischen, dass man bei denen, die der Meinung sind, dass es nur DIE eine richtige Therapie gibt, immer etwas vorsichtig sein sollte. Zweitmeinungen sind immer sinnvoll, in jeder Hinsicht, wenngleich sicher auch nicht immer einfach zu bekommen. Gerade wenn es um das Thema Logopädie geht. Wir haben aber auch die Erfahrung gemacht, dass wenn man es mal geschafft hat, jemanden wirklich ans Telefon zu bekommen und nicht im Nirvana des www (durch E-Mails oder sonstige Anfragemöglichkeiten auf Websites) versandet, sind viele häufig doch gewillt, einen zumindest zu einer Konsultation mal irgendwie reinzuschieben.
Selfcare und Empowerment eine Möglichkeit den Akku wieder aufzuladen
Der Selfcare und Empowermentkurs für Eltern von Kindern mit Behinderung mit sieben angemeldeten TeilnehmerInnen startete 23. September. Ziel ist es den Eltern eine Möglichkeit zu geben ihren Akku wieder aufzuladen, Zeit für sich zu finden im stressigen (Pflege-)Alltag sowie Erfahrungen mit anderen Auszutauschen.
Im ersten Zoom Treffen hat sich die Gruppe untereinander kennengelernt und die TeilnehmerInnen konnten ihre Erwartungen an den Kurs formulieren. Hierbei wurde deutlich, dass ihnen der Selfcare Aspekt besonders wichtig ist. Die TeilnehmerInnen wünschen sich vor allem Übungen für den Alltag, mit denen sie Stress reduzieren können. Auch der Austausch untereinander wird sehr stark erwünscht. Hierzu hatten die TeilnehmerInnen zum Ende des Treffens schon eine erste Gelegenheit und es ergab sich ein sehr konstruktives Gespräch. Eltern jüngerer Kindern konnten von den Erfahrungen von Eltern mit älteren Kindern viel lernen und Eltern von Kindern, die ungefähr im selben Alter sind, hatten die Gelegenheit sich miteinander zu vernetzen. Für die nächste Sitzung haben sich die TeilnehmerInnen gewünscht über SOS-Übungen in Krisenzeiten zu sprechen.
Grundlage dieses Kurses sind drei Säulen.
Die erste Säule besteht in der Vermittlung von Wissen. Die Eltern sollen einen Überblick über ihnen und ihren Kindern zustehende Leistungen zu erhalten. Dies gibt Sicherheit sich vor allem im Umgang mit Ämtern und Behörden.
Mit der zweiten Säule soll die Selbstfürsorge gefördert und gestärkt werden. Sobald ein Kind mit Behinderung in die Familie kommt, verschieben sich die Prioritäten und die Selbstfürsorge rutscht in den Hintergrund. Viele Eltern, die ein Kind mit Behinderung haben sind ausgebrannt, erschöpft, manchmal auch überfordert. Wir legen im Kurs den Fokus darauf, kleine Übungen wie z.B. Atemübungen, Meditationsübungen oder Achtsamkeitsübungen zu erlernen, die in den stressigen (Pflege-)Alltag übernommen werden können.
Und schließlich ist ein ganz wichtiger Teil und damit die dritte Säule des Selfcare und Empowermentkurses für Eltern von Kindern mit Behinderung der Erfahrungsaustausch der TeilnehmerInnen untereinander.
Der Kurs ist nach §45 SGB XI von der Pflegekasse als Schulungskurs für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen anerkannt und ist deswegen für Eltern und andere Angehörige von Kindern mit Behinderung kostenlos und wird bis zum 04.11.2024 in 6 Zoom-Terminen stattfinden.